Ultras verboten
Ägypten: Gericht verfügt Auflösung der FußballfanorganisationenSofian Philip Naceur, Kairo
Der Gerichtshof für dringliche Angelegenheiten in Kairo hat am Samstag die Ultras aller Fußballvereine verboten und deren sofortige Auflösung verfügt. Die Fangruppen wurden für Vandalismus und Beihilfe zum Aufruhr verantwortlich gemacht. Klage erhoben hatte der Präsident des Kairoer Spitzenteams Zamalek Sporting Club, Mortada Mansour, dem vor allem die Anhänger seines eigenen Vereins, die »Ultras White Knights« (UWK), ein Dorn im Auge sind. Sein Anwalt, Ashraf Farahat, der auch in das Verbotsverfahren gegen die regimekritische liberale Jugendbewegung des 6. April involviert ist, erklärte gegenüber der ägyptischen Tageszeitung Daily News, Ägyptens Ultras würden fortan als »terroristische Organisationen« eingestuft. Mansour geht bereits seit September gerichtlich gegen die Ultras vor und forderte wiederholt die Klassifizierung der Gruppen als Terrorvereinigungen.
Erst Ende April hatte sich dasselbe Gericht in dem Fall für nicht zuständig erklärt und die Klage abgewiesen, doch Mansour reichte Berufung ein. Den 16 auf der Anklagebank sitzenden UWK-Mitgliedern drohen hohe Haftstrafen, sollte das Urteil nicht erfolgreich angefochten werden. Generalstaatsanwalt Hisham Barakat bezeichnete die 16 Beschuldigten als Mitglieder der UWK sowie der verbotenen, im Dezember 2013 von Ägyptens Regierung zur Terrorvereinigung deklarierten, islamistischen Muslimbruderschaft. Barakat, die Regierung und Mansour werfen der Bruderschaft vor, die UWK mit Geld und Sprengstoff ausgestattet und dazu angestiftet zu haben, vor einem Spiel zwischen Zamalek und dem zum gleichnamigen Erdölkonzern gehörenden Club ENPPI am 8. Februar dieses Jahres zu randalieren. Damals waren noch vor Anpfiff der Partie in einem Vorort von Kairo nach Ausbruch einer Massenpanik 19 Zamalek-Anhänger getötet worden. Die UWK sprechen gar von 22 toten Fans. Tausende Menschen hatten vor einem Stadiontor in einem mit Eisenzäunen abgetrennten Gang dicht gedrängt auf Einlass gewartet, als die Bereitschaftspolizei Tränengasgranaten in die Menschenmenge feuerte und damit die Panik auslöste.
Während selbst Mitglieder der Ultras von einem Unfall sprechen und nicht von einer politisch motivierten Eskalationsstrategie der Polizei ausgehen, weisen Ägyptens Behörden jedwede Verantwortung für den Vorfall zurück und ließen direkt nach der Massenpanik Dutzende Anführer der Fußballfans verhaften. Wie ägyptische Zeitungen berichteten, wurden mindestens 26 Fans von der Polizei unter Folter dazu gezwungen zu gestehen, dass sie von der Muslimbruderschaft dafür bezahlt wurden, vor dem Spiel für Unruhe zu sorgen. Vorwürfe wie diese wurden in Ägypten zuletzt zunehmend dafür instrumentalisiert, um politische Gruppen, Bewegungen und Personen öffentlich zu diskreditieren und politisch kaltzustellen.
Der vor allem seit Ausbruch der ägyptischen Revolution 2011 schwelende Konflikt zwischen Ultraszene und Staatsmacht ist damit erneut eskaliert. Dabei hatten sich die Fußballfans und das Regime zuletzt deutlich angenähert. Die UWK und die Ultras Ahlawi, der größte derartige Verband und Anhänger von Ägyptens Rekordmeister Al-Ahly, hatten während der Revolution eine aktive Rolle in den Straßenkämpfen gegen die Polizei gespielt und stehen seither im Visier der Behörden. Die Ultras werden vom Staat als existentielle Bedrohung wahrgenommen. Neben den Muslimbrüdern und einigen unabhängigen Gewerkschaften in der Textilindustrie gelten die Ahlawis als zahlenmäßig größtes und am besten organisiertes informelles Netzwerk. Der Staat dagegen versucht, die Etablierung unabhängig von ihm agierender Organisationen im Land zu untergraben. Dabei verfolgen die Ultras am Nil keine politische Agenda. Doch ihr Kampf für Freiheit in den Stadien hat durchaus eine politische Dimension, ist er doch auch ein Kampf um den öffentlichen Raum, der vom Regime streng reglementiert und eingeschränkt wird. Auch daher stehen die Ultras heute erneut auf der Abschussliste des Regimes.
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